Doppellesung zum Herbstlesefest
Im Rahmen unseres Herbstlesefestes hatten wir wieder die Möglichkeit, einen jungen Autor bei uns begrüßen zu dürfen. Einer von vielen Fragen geleiteten Abendlesung folgte am nächsten Tag auch wieder eine Lesung für unsere Schülerinnen und Schüler der Oberstufe. Unser diesjähriger Autor, Marco Ott, wurde 1993 in Dinslaken in Nordrhein-Westfalen geboren. Als Kind vom Rande des Ruhrgebiets zieht es ihn zunächst nach Berlin, wo er Filme machen will, dann nach Leipzig, wohin er zwar zieht, am renommierten Literaturinstitut jedoch nicht angenommen wird, über Frankfurt, wo er Komparatistik studieren will, bis nach Hildesheim, wo er dann doch die Zusage für den Studiengang Kreatives Schreiben bekommt und wo der echte Marco Ott zum heutigen Zeitpunkt auch noch studiert. Schreibschulen wie in Hildesheim galten lange als elitär, der Literaturbetrieb als unzugänglich für viele, die nicht zur Bildungselite gehörten. Er selbst sagt in einem Artikel der FAZ: „Es gibt gesellschaftliche Hierarchien und eine Abwertung des Arbeitermilieus.“ Erwerbslose und Niedriglohnempfänger würden immer wieder gegen Wohlhabende und die Mittelschicht ausgespielt. Am Literaturinstitut Hildesheim begegnet er auch anderen, die ihre Herkunft leugnen und somit einen hohen Preis zahlen.
In seinem Buch „Was ich zurückließ“, welches endgültig 2024 erschien, wendet sich Ott an seine Eltern. In einer Art offenen Briefes versucht er, sich an eine von ihm negierte Welt anzunähern als auch das Schweigen zu durchbrechen, das sich über die Jahre zwischen Eltern und Sohn gelegt hat. Marco Ott hat das Arbeitermilieu und die Sozialbausiedlung hinter sich gelassen, schafft als erster in der Familie das Abitur und tritt ein in eine bürgerliche Welt: Studium, Großstadt, neue Freunde… Und plötzlich ist da diese Scham: die Scham über die eigene Herkunft, die schleichend einen Keil zwischen ihn und seine Eltern treibt und eine zunehmende Entfremdung in Gang setzt. Die Zensur der Sprache, neue Kleidung und Interessen sind erste Anzeichen. Zugleich stößt Ott mehr als unsanft auf die Mechanismen unserer Gesellschaft: die ungleichen Bildungschancen, die beschämenden Hartz-Gesetze, die Wirkungskraft sozialer Strukturen. Ist es überhaupt möglich, seine soziale Herkunft zurückzulassen?
»Otts Ton, verletzlich, schonungslos, poetisch, hat in der gegenwärtigen Klassenliteratur bisher gefehlt. Dieses Debüt ist eine leise Wucht!«, so Olivier David.